DIE FREIHEIT VON DER STILLE VON STELA DO PATROCÍNIO AUS REINO DOS BICHOS E DOS ANIMAIS É O MEU NOME.

Inaê Silva Pereira Sodré inaesodre@gmail.com

Irene Karcho wurde irene.hoinka@web.de

ZUSAMMENFASSUNG: Dieser Artikel soll das poetische Werk von Stela Do Patrocinio, einer schwarzen Frau, Dichterin, die dreißig ihrer 52 Jahre im Irrenhaus Juliano Moreira in Rio de Janeiro im Jahr 1960 verbrachte, aufzeigen. Ihre Rede wurde über zwei Jahre aufgezeichnet, transkribiert und aufgrund der Einflussnahme von Viviane Mosé sortiert. Stela prangert in poetischer Sprache sowohl die Grausamkeiten an, die im Inneren des Irrenhauses geschehen, um das Thema still zu schweigen und zu kasteien, als auch den Preis der Gewalt im Namen der Vernunft und unter unserer Duldung ausgeführt. Nach Descartes besteht eine Trennung in der Sprache, wobei er innerhalb einer Kultur die Vernunft als souverän und Wahnsinn als untergeordnet beschreibt. So isoliert eine Kultur die "psychisch Kranken", um die "Normalen" abzugrenzen, solange sie außerhalb der verschlossenen Wände des Irrenhauses sind.

SCHLÜSSELWÖRTER: Vernunft; Wahnsinn; Literatur; Identitätsdarstellungen .

ABSTRACT: This article intends to highlight the poetic speaking style of Stela do Patrocínio, a black woman and poet, who spent thirty of her fifty-two years in the Juliano Moreira mental institution in Rio de Janeiro, Brazil. Her words were recorded, transcribed and organized by Viviane Mosé. Stela denounces the cruelty that was occurring inside the mental institution to silence and deaden the subjects. Violence was used in the name of reason and under our connivance. According to Descartes, the division of language places reason as sovereign and madness as subordinate within a culture, a culture that isolates the "mentally ill" to distinguish those who are "normal" simply because they are outside of the exclusionary walls of the mental asylum.

KEYWORDS: reason; madness; literature; representation of identity.

Am Anfang von allem gab es das Wort, dann wurde das Wort Sprechweise. Und nahm Gestalt an. Und diese Gestalt wiederum wurde zur Sprache. Die Wörter benennen die Dinge, übersetzen unsere Gefühle, grenzen ein Stück der Lebensintensität ab, repräsentieren die Welt. Jedoch die Worte, welche verwendet werden, um unsere Welt zu verstehen und zu interpretieren, voller greifbarer und wahrscheinlicher Wahrheiten können die möglichen Bedeutungen, welche das Wort geben kann, verringern. Sprache, wie ein Fluss in der Zeit, teilt sich und folgt zwei Wegen in der Geschichte des Denkens. Ein Teil mündet im Vokabular der Vernunft und ein anderer Teil in der Poesie. Sind jedoch die genauen Wörter des Vokabulars der Vernunft ausreichend, um unsere Welt zu verstehen und zu interpretieren?

Laut Viviane Mosé charakterisiert sich Vernunft in der Fähigkeit, die jeder Mensch hat, Worte und Gedanken zu schaffen und zu artikulieren, was soviel bedeutet wie rational über Ursache und Wirkung, über Identität, in organisierter und klarer Form, ohne Widersprüche, ohne Exzesse, ohne Emotionen zu denken (Mosé 2012 , p . 112). Im modernen oder nach Michel Foucault klassischen Zeitalter, dem 17. Jahrhundert, definierte der französische Mathematiker und Philosoph René Descartes Vernunft als einen philosophischen Gedanken auf der Grundlage mathematischer Modellgenauigkeit. "Ich denke, also bin ich" ist die berühmte Maxime des kartesischen Denkens seines Werkes „Abhandlung über die Methode, seine Vernunft gut zu gebrauchen und die Wahrheit in den Wissenschaften zu suchen“, in welchem er den Zweifel als ein Werkzeug auswählt, um die Welt besser zu erforschen und zu verstehen. Er glaubte daran, weil für ihn, selbst wenn jemand komplett zweifelt, man nicht an der Person zweifeln kann, weil Zweifeln ein Gedankenakt ist, welcher nicht ohne Subjekt auftreten kann.

Ich bemerkte, dass als ich dachte, dass alles falsch sei, es notwendig wurde, dass ich, derjenige der dachte, sich darin sicher war ding und diese Wahrheit feststellend – „Ich denke, also bin ich“- war ich so überzeugt und sicher, dass alle extravaganten Annahmen der Skeptiker, dies nicht erschüttern konnten. So schloss ich daraus, dass ich in der Lage war ohne Skrupel, das erste Prinzip der Philosophie zu akzeptieren, das ich suchte (DESCARTES, 2011, S. 50).

Was Vernunft seit seiner platonischen Geburt sein will, ist einen Teil des Lebens zu verneinen, der sich verändert, der keinen Sinn ergibt, welcher stirbt. Was Vernunft sein will, ist eine Welt von Identitäten und Wahrheiten zu schaffen, eine vorhersehbare und klare Welt (MOSÈ, 2011.p.22). Michel Foucault beschuldigte René Descartes die Sprache in zwei Teile zu trennen: Vernunft und Unvernunft. Auf einer Seite die Vernunft als Wahrheit, Bewusstsein, Klarheit, Normalität, Gesundheit und auf der anderen Seite Unvernunft als Fehler, Dunkelheit, Unordnung (FOUCAULT, 1997,S.45).

Der größte Anliegen von Descartes angesichts einer scholastischen Tradition, in welcher die Arten als halbmaterielle und halbspirituelle Einheit wahrgenommen wurde, bestand darin Mechanismus und Gedanken in Präzision zu trennen, indem das Körperliche komplett auf das Mechanische reduziert wurde (SARTRE, 2008, S.13).

Laut Viviane Mosé (2012) reduziert Descartes die Existenz auf Gedanken, wertschätzt die Welt der Ideen, sucht die Wahrheit und schließt dabei den Körper als eine Möglichkeit der Weltinterpretation aus. Auf diese Weise schließt er die Intensität des Lebens und der künstlerischen Sprache aus. Und kartesisches Denken bedeutet in Ursache und Wirkung, in Identität, ohne Widersprüche zu denken. Um rationalem Denken Sinn zu geben, müssen Dinge streng im Gegensatz zu einander stehen: Hässlichkeit gegen Schönheit, Sicherheit gegenüber Fehler, Klarheit gegen Dunkelheit, Normalität gegen Anomalität, Vernunft gegen Dummheit. Er glaubt, dass der Körper, Gefühle und Emotionen die Gründe seien für Fehler und Unordnung (MOSÉ, 2012, S. 130). Das heißt, dass der Mensch sich den Gefühlen und Wahrnehmung widersetzen sollte, und nach der Wahrheit und dem Wesen der Dinge suchen, die durch Gedanken und Ideen kommen. Aus diesem Grund ist die Vernunft nicht natürlich, sie wurde erfunden zu einem konkreten Zeitpunkt in unserer Geschichte. In anderen Worten, sie wurde konstruiert durch die Kultur und sie ist ein Produkt unserer Zivilisation.

Die Vernunft, als ausgedachte Tradition, wurde somit durch eine Ansammlung von Praktiken erfunden, die auf stillschweigend oder offen akzeptierten Regeln bestand. Diese Praktiken, ob natürlich, rituell oder symbolisch sind beabsichtigt, um gewisse Werte und Verhaltensnormen durch wiederholbare Abhandlungen einzuprägen (HOBSBAWM 2012, S. 12). Die normative Grammatik dient als ein Beispiel dafür, wie der Diskurs der Vernunft im Laufe der Zeit sich auswirkte. Die normative Grammatik basiert schließlich auf der Idee von Subjekt und Prädikat, in Regeln, Normen, in einer Abwesenheit von Ausnahmen und der "Logik der Ausgrenzung". Nach Viviane Mosé ,

die absolute Existenzgrundlage jeder Grammatik, zentriert auf der Wahrnehmung des Seins und basierend auf der Erschaffung von Identität, verursacht, dass in allen Text eine Logik der Identität vorherrscht, welche stets Unterschiede ausschließt und ein stabiles und alleiniges Subjekt unterstützt, ohne Gemütsbewegung und ohne Körper (MOSÉ, 2012, S. 53).

Um rationales Denken als ein Modell von wahrem Diskurs, statt der Wiederholung von Wahrheit von „korrekter Rede“ und „falscher Rede“ aufrecht zu erhalten, sollten diese sich ihrer verinnerlichen, die sich gegen sie gestellt haben: in anderen Worten, gegen all diejenigen die gegen Vernunft waren, die im Delirium waren, die ins Exil gegangen sind, die störten, die gesetzte Normen überschritten.

Wie Foucault sagt „der Zweifel von Descartes verwirft die Verzückung der Sinne, überquert die Landschaften der Träume, immer im Licht der wahren Dinge geführt, aber er verbannt den Wahnsinn im Namen dessen, der zweifelt und nicht mehr selbst bestimmen kann, ob er denken oder sein kann" (FOUCAULT, 2012, S. 47).

Michel Foucault verteidigt in seinem Buch „Die Ordnung des Diskurses“, dass die Spaltung der Sprache der Domäne des Diskurses angehört. Es geschieht somit durch die Vermittlung von Worten, dass man die Torheit des Verrückten erkennt. Es bestätigt, dass seit der Geheimnisse des Mittelalters derjenige als verrückt gilt, dessen Rede nicht die der anderen gleicht: oder dass seine Worte nichts wert sind oder nicht existieren, da sie keine Wahrheit oder Bedeutung enthalten, nicht in der Lage sind, Gerechtigkeitsthemen zu bezeugen, nicht in der Lage sind, eine Tatsache oder einen Vertrag zu authentifizieren und nicht einmal in der Lage sind, beim Messeopfer Brot in Körper zu verwandeln, jedoch auf der anderen Seite, werden ihm seltsame Kräfte zugeschrieben: eine versteckte Wahrheit zu sagen oder die Zukunft vorherzusagen oder eine Weisheit zu sehen, welche der Weise nicht sieht (Foucault, 1970, S. 10). In seinem Buch „Aula“ beschreibt Roland Barthes, dass die Macht der Objekte durch Sprache festgelegt wird (BARTHES, 1980, S. 11). Es basiert auf Vernunft, dass verurteilt, beurteilt, kontrolliert, krank gemacht, geschwiegen, isoliert, ausgeschlossen, gefoltert und getötet wird.

Zu den frühesten Erfahrungen mit Krankenhausaufenthalten gehören die Lepraasyle. Diese wurden im vierten Jahrhundert n. Chr. erbaut und als Ort der Ausgrenzung bis zum Ausbleiben von Lepra im fünfzehnten Jahrhundert, am Ende des Mittelalters, beibehalten. Diese Räume brachten nicht nur Leprakranke zusammen, sondern auch andere Arten unerwünschter Gesellschaft wie unter anderem Bettler, Arme, Homosexuelle, Prostituierte, Krüppel (FOUCAULT, 2012, S. 4). Nachdem Lepra nicht mehr auftrat, musste die Gesellschaft die leeren Asylräume, die zur Isolierung dienten, neu füllen. Die Irrenanstalt wurde geschaffen um verrückte Menschen, genauso wie all diejenigen, die anders oder komisch waren und die Figur eines Verrückten repräsentierten, zu isolieren. Diejenigen, welche die Irrenanstalt betraten, fanden ein Tal des Todes vor.

Menschen starben an Kälte, weil sie auf dem Boden, nackt und ohne Decken geschlafen hatten oder einfach hinausgeworfen wurden. Sie starben aufgrund von Hunger, Elektroschocks, Infektionen durch das Trinken von schlechtem Wasser oder durch Essen von Kot und Ratten. Viele starben an einer Lungenentzündung und viele andere starben auf dem Operationstisch als Folge von Lobotomie. Stela von Patrocínio war Zeuge dessen, was im Inneren des Asyls passierte, und denunzierte, auf poetische Weise, die medizinische „Versorgung“ und weitere gewalttätige Praktiken, die als eine "Heilungsmethode" denjenigen verabreicht wurden, welche die Normen der Institutionen zu stören gewagt hatten. Oder es gewagt hatten, die Regeln zu brechen. Oder vom Standard abzuweichen. Stela konnte durch die Bedeutung ihrer Worte, die Umstände bezeugen als ein Opfer eines Systems, das weit die Behandlungsformen von Verrücktheit überschritt und nach den Worten von Michel Foucault „die bizarrsten Anwendungen von Gewalt und Folter nutzte, um methodisch den Körper zu kontrollieren“. (Foucault, 1997 S. 141). Laut Arbex Daniele (2013),

(...) Seit Jahrzehnten wurden Menschen sicher versteckt - oft zwangsweise - in einem Zugwagen, der in Cologne entladen wurde. Dort wurden ihre Kleider abgerissen, ihre Köpfe rasiert, und ihre Namen gelöscht. Entblößt in Körper und Identität, entführt von der Menschheit, wurden Männer, Frauen und sogar Kinder zu "ignorierten Menschen". Darunter waren Epileptiker, Alkoholiker, Homosexuelle, Prostituierte, Bettler, politische Aktivisten, Rebellen oder Menschen, die jemandem lästig geworden waren, welcher mehr Macht als sie hatte. Darunter waren schwangere Mädchen, die von ihren Chefs vergewaltigt waren. Darunter waren Ehefrauen, die von ihren Männern weggesperrt wurden, damit diese mit ihren Geliebten leben konnten. Darunter waren Töchter von Landwirten, die ihre Jungfräulichkeit vor der Ehe verloren hatten. Darunter waren Männer und Frauen, die ihre Papiere verloren hatten. Einige von ihnen waren einfach nur fragil. Rund 30 waren Kinder (ARBEX 2013, S. 14).

Aufgrund des ausgrenzenden Vernunftgedankens verweilt in jedem von uns ein leeres Aussätzigenheim. Doch warum grenzt unsere Kultur bestimmte Menschen aus? Warum werden bestimmte Gefühle als pathologisch bezeichnet? Und was ist dagegen normal? George Canguilhem (2012) beschreibt in seinem Buch „Das Normale und das Pathologische“, dass man das Verständnis des Normalen durch statistische Regularien erreicht. Das bedeutet, dass man die Parameter von Normalität z.B. basierend auf Messungen von Verhalten und Erfahrungen in einer bestimmten Population findet. Diejenigen die von diesem Stand abweichen werden als außerhalb der Normalität wahrgenommen. Darüber hinaus ist es bekannt, dass aus einer subjektiven Perspektive alle menschlichen Kreaturen ein Gehirn haben, das die Beziehung mit anderen und ihrer Umgebung in solch einem Weg reguliert, dass diese Beziehung mit anderen sich in Gefallen und Nichtgefallen, Frustration und Leiden gestalten kann. Es ist Bestandteil in der menschlichen Existenz, zu leiden genauso wie glücklich oder traurig zu sein.

Für Canguilhem beinhaltet das Führen einer normalen Beziehung mit jemandem, ein individuelles Verhalten dem anderen als ein ethisches Subjekt aufzuzeigen, in anderen Worten als ein Gleichgesinnter. Und wenn dieser, auf welche Art und Weise auch immer, diese Person als Subjekt herabsetzt und ihn als ein Instrument seines Wohlgefallens ausnutzt, wird er seine Grenzen überschreiten und in das Feld der Pathologie eintreten. Aus diesem Grunde unterliegt jegliche Beurteilung, welche diese Aspekte zurechtweisen oder einen Fakt als Norm qualifiziert, der gleichen Beurteilungsform derjenigen, welcher die Normen einführt (CANGUILHEM 2012, S. 80). In diesem Sinne ist es zweifelhaft, ob Normalität außerhalb oder innerhalb der ausschließenden Wände eines Asyls bestehen.

In Stelas do Patrocionios Buch „Reino dos bichos e dos animais é o meu nome“, repräsentiert sie die Stimme und Worte einer schwarzen Frau, Dichterin und Insassin von Juliano Moreira, einer psychiatrische Klinik in Rio de Janeiro, wo sie dreißig ihrer zweiundfünfzig Jahre verbrachte, untergebracht als eine verrückte Frau, ein Opfer von Ausschluss auferlegt von rationalen Gedanken der Wissenschaft und dem Zusammenleben der Gesellschaft. Sie war auch eine der Insassen, die vor und nach der Psychiatriereform in den 1980er Jahren in Brasilien lebte. Indem sie die poetische Sprache nutzte, wurde die Stimme von Stela do Patrocinio gehört, aufgezeichnet und zu Papier gebracht. Diesem Buch gelang es, eine säkulare Stille zu durchbrechen, die den „verrückten“ Menschen aufgrund der Macht einer Epoche und einer Kultur auferlegt wurde. Ihre Arbeiten entstanden auf mündlicher Basis und wurden später aufgeschrieben in Gedichten und Texten. Ihrer Zeit, ihrem Raum und ihrem Zustand bewusst sprach Stela und sprach und sprach:

Über Tage Wochen Monate Jahre / Minute Sekunde jeden Stunde Tage Nachmittage alle Nächte wollen sie mich töten/Sie wollen mich nur töten/ Weil sie sagen, dass ich ein einfaches Leben habe / Ich habe ein hartes Leben/ Dann weil ich ein einfaches Leben habe/ Habe ich ein hartes Leben/ Sie wollen wissen wie es ist dass ich in der Lage bin kontinuierlich wiedergeboren zu werden ohne Leichtigkeit sondern mit Schwierigkeiten (PATROCÍNIO, 2001, S. 64).

Stela passte nicht in die etablierten gesellschaftlichen Normen: Sie war schwarz, eine Frau und arm. Als jemand, der sich unterschied in unserer patriarchischen, sklavokratischen, weißen und kapitalistischen Gesellschaft, stellt sich die Frage, ob sie verrückt war oder verrückt gemacht wurde. Nach einem Sturz auf der Rua Voluntários da Pátria wurde Stela zu einem ersten Hilfeposten gebracht. Sie verabreichten ihr Injektionen, Medizin und Elektroschocks. Sie befahlen ihr, sich zu duschen. Sie befahlen ihr, einen Tisch, einen Stuhl, einen Stuhl, einen Tisch zu finden. Sie gaben ihr einen Trog mit Reis, Chuchu, Fleisch, Bohnen und riefen dann die Ambulanz und sagten „Bringt sie fort“ (Patrocinio, 2001. S. 49). Ich bin in einem Asyl voller alter Menschen/ einem Krankenhaus, wo jeder krank ist/ In einem Hospiz/ Ort für Verrückte/ Durchgedrehte/ Bekloppte (PATROCÍNIO, 2001, S. 47).

Stela wurde in 1962 im Alter von 21 Jahren eingeliefert und blieb für 4 Jahre im Pedro II Krankenhaus in Rio de Janeiro, der ersten Irrenanstalt in Lateinamerika. Später wurde sie in das psychiatrische Krankenhaus Juliano Moreno überwiesen, wo sie bis zu ihrem Tod als Opfer einer allgemeinen Infektion im Jahr 1992 blieb. Ihr einzigartiger Charakter wurde mit den Worten von Vivane Mosé, Philosophin, Dichterin, Psychologin, und Psychanalytikerin, welche einen Master und Doktor in Philosophie an der Philosophischen und Sozialwirtschaftlichen Föderalen Universität in Rio de Janeiro absolvierte, beschrieben. Sie ist die Autorin von 6 Philosophiebüchern und sieben Gedichtbänden.

Stela war eine Überlebende eines Sterbeprozesses charakterisiert von archaischen und traditionellen psychiatrischen Strukturen – dem Irrenhaus. Dort waren Individualität, Subjektivität, Wünsche und Einzigartigkeit ausgeschlossen. Menschen wurden reduziert zu einer Auftürmung, ohne Form und ohne Gesicht. Die Gleichheit ist nur Symbol der wahren Vereinheitlichung. Zeit ist die Zeit von Tod. Die Behandlung - ein wissenschaftliches Wort – wurde reduziert, um den Körper durch Gewaltanwendung von denjenigen zu kontrollieren, die es gewagt hatten, die Ordnung herauszufordern (MOSÈ, 2001, S. 13).

In „Reino dos bichos e dos animaes é meu nome“, macht alleine der Titel schon deutlich, dass wir einen Blick auf die Bedingungen in psychiatrischen Anstalten bekommen: „Zunächst kam die Welt der Lebenden/ Danach das Leben und der Tod/ Dann von den Toten/ Dann von Ungeziefer und Tieren/ Nur der Wille bleibt/ Als eine Ungeziefer und als Tier“ (PATROCÍNIO, 2001, S. 116) Oder es gibt uns Einblick in der Zuwendung eines psychiatrischen Mediziners: „Die Medizin die ich nahm, macht mich krank/ Ich mag es nicht Medizin zu nehmen die mich krank macht/ Ich laufe ein bisschen und schwanke/ Ich schwanke weiter falle fast und wenn ich falle hebe ich mich selbst auf/ Ich laufe wider ein bisschen/ Falle erneut“ (PATROCÍNIO, 2001, S. 54). In ihren Gedichten erscheint es, als würde sie die Stufen einer Lobotomie beschreiben:

Ich wurde mehrfach operiert/ Ich hatte mehrere Operationen/ Ich wurde grundsätzlich am Gehirn operiert/ Ich dachte dass ich beschuldigt werden würde dass ich etwas am Gehirn hätte/ Nein sagten sie, ich hätte ein Gehirn /einen Apparat der gut funktioniert, der positiv denkt/ Und dass dieser die Verbindung sei zu etwas anderem was nicht denkt/ Das nicht in der Lage ist zu denken/ Und sie wollen diesen Apparat des Denkens und Nichtdenkens untersuchen/ Das eine mit dem anderen in meinem Kopf verbunden, in meinem Gehirn/ Funktionieren auf dem Tisch/ Sie studieren außerhalb meines Kopfes/ Ich bin bereits ein Untersuchungsobjekt/ einer Kategorie (PATROCÍNIO, 2001, S. 69).

Im Jahr 1989 begann der Repräsentant Paulo Delgado den kontinuierlichen Prozess, der zur Schließung der Irrenanstalten führen und die Rechte der mentalen Kranken regulieren sollte. Jedoch trat das Gesetz der Psychiatrischen Reform erst im Jahre 2001 in Kraft. Dieses Gesetz ist auch bekannt als das Gesetz von Paulo Delgado (FERREIRA, 2006, S. 77-85). Diese psychiatrischen Anstalten wurden eliminiert und der Weg für ein neues Behandlungsmodell geebnet. Die Einrichtung des Centro de Antencao Psicossocial – C.A.P.S hat als Ziel, Patienten davor zu schützen, weggesperrt und vergessen zu werden. Ein weiteres Ziel ist, die Personen in Kontakt mit ihren Familien und der Gesellschaft zu belassen, als eine Form von sozialer Eingliederung. In diesen Zentren erfährt der Patient psychologische und pharmazeutische Nachuntersuchung, abgesehen von der Integration in diesem Zentrum als Person der Nachbarschaft oder der Stadt.

Wie von Goncalves & Sena (2001) und Ferreira (2006) berichtet, traten diese psychiatrischen Reformen in Brasilien in den 1980er Jahren in Kraft, während der Einführung des Vereinten Gesundheitssystems (SUS). Stela profitierte von dieser Phase, indem die Türen, die für Jahrhunderte geschlossen blieben, geöffnet wurde. Wir sprechen über eine Zeit, nicht zu lange her, wo mentale Patienten wie irrationale Tiere behandelt wurden und aus diesem Grund isoliert, eingesperrt, angekettet und bestraft wurden. Ähnlich den Tieren waren sie Meerschweinchen im Einsatz für den Fortschritt der Wissenschaft. Nach der Psychiatrischen Reform wurde eine neue Ära eröffnet. Es war Zeit, denen Stimme zu verleihen, die jahrelang schweigen mussten. Stela sprach und sprach und sprach….

Die Worte von Stela do Patrocinio waren nicht gebunden an eine syntaktische Konstruktion und erstellten einen anderen Rhythmus. Den Rhythmus von unter Drogen gesetzten Augen. Wortströme kamen ohne Atemzug heraus. Und durch den angehaltenen Atem empfand es die Organisatorin als passend, Kommas wegzulassen, um den Rhythmus und Fluss ihrer Rede wiederzugeben. Und in diese Welt, leer von dem sogenannten Unvernünftigen, leer an Symbolen, Träumen, Poesie, Künden, stellte Stela ihre neue Gedanken. Ihre Dialoge entstanden in der Spannung zwischen Ordnung und Unordnung. „Stela sprach wie ein Sprecher und ihre Worte bauten sich ab in ihrer Rede. Sie sprach von ihrer Sprache. Und sie sprach in ihrem eigenen Stil. Ihre extrem gut ausgesprochenen Worte waren immer mit sehr viel Emotion geladen (Mosé, 2001, S. 28) Bewusst über sich selbst und ihr Sein in der Welt, bestätigt Stela ihre Identität aus der Sicht von anderen.

Ich bin Stela do Patrocinio gut unterstützt/ Ich sitze auf einem Stuhl der an einen Tisch genagelt ist/ Ich bin schwarz und Kreolin/ Dass was Ana mir erzählte/ Ich wurde verrückt geboren/ Meine Eltern wollten dass ich verrückt wäre/ Die normalen Leute waren eifersüchtig auf mich weil ich verrückt war (PATROCÍNIO, S. 2001, Seite 66).

Das Buch wurde nicht von Stela geschrieben, abgesehen von dem Wissen, dass sie auf Karteikarten schrieb. Ihre Worte wurden gesprochen und aufgenommen über 2 Jahre, von 1986 bis 1988, von den Künstlern Neil Gutmacher und Carla Guargliardi, Danach wurden sie transkribiert von der Psychologin Monita Ribeiro und organisiert von Viviane Mosé. Die Organisatorin sagte in einem ihrer Aussagen in diesem Buch: Das Buch ist das Ergebnis eines kollektiven Prozesses zusammengesetzt über die Zeit in Anonymität und genährt an einem Gefühl der Solidarität mit denen, die kein Morgen oder Gestern haben“. (Mosé, 2001, S. 15) Nach Vivinae Mosé wurde Stela diagnostiziert als „psychopatische Persönlichkeit“ oder als eine „Schizophrene mit psychotischen Auswirkungen“. Und über ihre Existenz sagt Stela:

Ich war pures Gas, Luft, leerer Raum, Zeit/Ich war Luft, leerer Raum, Zeit/ Und pure Gase, wie, oder, leerer Raum, oder / Ich hatte keine Bildung/ Ich hatte keinen Schulabschluss/ Ich hatte nichts worüber ich mir Gedanken machen konnte/ Meine Arme, meinen Körper nutzen/ meine Ohren, meine Nase nutzen/ Meine Muskeln, meine Zähne zu nutzen/ Ich war nicht in der Lage eine dieser Dinge zu machen/ Nachzudenken, an eine bestimmte Sache zu denken“ Nützlich zu sein, intelligent, verfünftig“ Ich hatte nichts um nichts zu nutzen/ Ich war purer leerer Raum (PATROCÍNIO, 2001, S. 21).

Das Buch „Reino dos bichos e dos animais é o meu nome“ wurde 2011 im Verlag Azougue Editorial veröffentlicht und als „brasilianische Poesie“ eingestuft. Das Layout wurde von Sergio Cohn, Verleger von Azougue Editorial gestaltet. Die Organisation und Einführung wurde von Viviane Mosé übernommen. Die Abschnitte des Buchs waren untergliedert in „Danke“ , „Epigraph“, „Zusammenfassung“, „Stern“ , „Einführung – Stela do Patrocinio - ein poetischer Weg in einer psychiatrischen Anstalt“, „Teil 1 – Ein Mann namens Pferd ist mein Name“, „Teil II – Ich bin Stela do Patrinio, gut unterstützt“, „Teil III, In Mullbinden, habe ich mich gebildet und Farbe angenommen“, „Teil IV – Ich sehe die Welt“, „Teil V – Die Wände sind noch nicht angemalt mit blauer Tinte“, „Teil VI - Königreich des Ungeziefers und der Tiere ist mein Name“; Stela über Stela - Interview“ und „Chronologie“.

Wie gestaltet sich Dein Tag hier in Cologne?

Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Samstag Sonntag Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember Morgens Nachmittags Nacht ich grase weiter so wie ich fortsetzen werde zu grasen, grasen mit Willen und ich bin noch nicht einmal ein Pferd

Er sagte bereits ein Mann namens Pferd sei mein Name.

Bist Du hier sehr krank?

Ich bin krank, weil ich konstant Injektionen nehme. Injektionen für Menschen und die Flüssigkeit nimmt ab.

Wer gibt euch diese Injektionen?

Die unsichtbare Geheimpolizei, welche farblos ist.

Und wozu dienen diese Injektionen?

Um zu erzwingen, psychisch krank zu sein.

Am Tag, an dem sie die Einnahme von Injektionen stoppen, wirst Du geheilt sein?

Ich werde vollständig geheilt sein, wenn ich keine Medizin nehme, keine Elektroschocks bekomme, wenn ich nicht voller giftigem Gift bin.

Lernst Du Stela?

Ich habe aus Büchern gelernt

Sprachen

Comment allez vous?

Como voce esta?

Thank you very much.

The coffee pot is full.

Ca va bien. The madam is well?

Bist Du eine Lehrerin?

Ich bin kein Lehrer, aber ich musste arbeiten um zu lernen Buchstaben für Buchstaben, Satz für Satz Blatt für Blatt

Dein Name ist Stela, Weißt Du, was dies bedeutet, Stela?

Stern - Seestern

Wirst Du uns ein Gedicht aufsagen?

Nein.

Ich erinnere mich nicht mehr an Poesie oder Nichts.

Alles was du sagst, ist Poesie.

Es nur eine Geschichte, die ich erzähle - eine Anekdote (Patrocinio, 2001 S.153 ).

Die Geschichte von Stela hatte einen bemerkenswerten Verlauf: Das Buch „Reino dos bichos e dos animais é o meu nome“, zusammengestellt von Viviane Mosé, wurde Finalist des Jabuti Preises in 2002 und 2005. Ihre Worte wurden in Shows, Musicals vom Musiker und Künstler Cabelo benutzt. Sie wurden adaptiert für das Theater im Monolog „Brille von Stela do Patrocinio, blaues Kleid, schwarze Schuhe, weiße Tasche und … verrückt“: Interpretiert von Clarisse Baptisa und aufgeführt von Nena Mubárac. Stela wurde proträtiert im Filmtheater in „Stela do Patrocinio - eine Frau, die Dinge sprach (Dokumentarfilm, 14 min, DV, RJ , 2006) produziert von Marcio de Andrade. Ihre Arbeiten wurden sogar in eine Oper umgewandelt vom Komponisten Lincolon Antonio. Vom Titel des Buches stammt das Gedicht:

Mein richtiger Name ist Sarg / Begräbnis / Friedhof toter Körper / menschliches Skelett/ Asyl von Alten/ Krankenhaus von allem was krank ist/ Pflegeheim / Welt des Ungeziefers und der Tiere / Die Tiere: Dinosaurier Kamel Puma Tiger Löwe Giraffe Affe Dinosaurier Schildkröte / Königreich der Ungeziefer und Tiere ist mein Name / Zoologischer Garten / Landgut der schönen Aussicht (PATROCINIO S.118).

Für Viviane Mosé ist der Text von Stela do Patrocínio ein Meilenstein in der brasilianischen Literatur und von großer Wichtigkeit und Bedeutung. Er schließt sich anderen Büchern, Referenzen von Autoren, die ihre Erfahrungen in Pflegeheimen berichtet, an. Und er kommt mit Kraft und Dichte, die Geschichte macht. In diesem Kapitel, betitelt mit ESTRELA beginnt die Organisatorin und ich schließe damit mit einer Inschrift vom kubanischen Sänger Paul Milanez, auf den Stern Stela zeigend: " Was glänzt mit seinem eigenen Licht, kann niemand löschen“ (MOSÉ, 2001, S. 13).

QUELLENNACHWEIS

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Inaê Sodré
Enviado por Inaê Sodré em 16/10/2016
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